1,5 – ein Wissenschaftler, fünf Fragen mit Prof. Dr. Andreas Schuldt

Leiter der Abteilung Waldnaturschutz an der Georg-August-Universität Göttingen und Teilprojektleiter im Klima.Zukunftslabor DIVERSA
  • 22. April 2025
  • 6 min. Lesezeit
Porträtbild von Prof. Dr. Andreas Schuldt, Leiter der Abteilung Waldnaturschutz an der Georg-August-Universität Göttingen und Teilprojektleiter im Klima.Zukunftslabor DIVERSAPorträtbild von Prof. Dr. Andreas Schuldt, Leiter der Abteilung Waldnaturschutz an der Georg-August-Universität Göttingen und Teilprojektleiter im Klima.Zukunftslabor DIVERSA
Prof. Dr. Andreas Schuldt ist Leiter der Abteilung Waldnaturschutz an der Georg-August-Universität Göttingen und Teilprojektleiter im Klima.Zukunftslabor DIVERSA. Bildnachweis: Andreas Schuldt
© Andreas Schuldt

Hallo Herr Prof. Dr. Schuldt, Sie leiten die Abteilung Waldnaturschutz an der Georg-August-Universität Göttingen und forschen zu Biodiversitätsveränderungen. Was macht diesen Forschungsbereich so spannend?

Biodiversität ist eine Grundlage für das Funktionieren von Ökosystemen, wie Wälder, Wiesen, oder Gewässern. Damit ist sie letztendlich unentbehrlich für unser eigenes Wohlergehen, da wir auf die Funktionen und Leistungen dieser Ökosysteme angewiesen sind. Ohne die Vielfalt an Arten stehen die Produktion von Nahrung, Ressourcen wie Holz, aber auch Wasser- und Luftreinhaltung oftmals auf wackligen Füßen. Das haben wissenschaftliche Untersuchungen über die letzten zwei Jahrzehnte belegen können. Auch aktuelle Entwicklungen, wie zuletzt großflächige Schäden durch Trockenheit und Borkenkäfer, vor allem in Monokulturen von oft standortunangepassten Baumarten wie der Fichte, zeigen dies. Besonders vor dem Hintergrund des Klimawandels stellt sich die die Frage, wie Ökosysteme für uns produktiv und gleichzeitig stabil bleiben können. Hier kann eine Förderung der Artenvielfalt ein wichtiger Teil der Lösung sein. Die Förderung ist auch darum wichtig, weil unser Einfluss auf Natur und Landschaft durch immer intensivere Nutzung und höheren Ressourcenverbrauch gleichzeitig zu einer Verarmung vieler Lebensräume führt. Bekannte Beispiele sind Rückgänge von Bestäubern wie Bienen, das „Insektensterben“, oder das Verschwinden von vertrauten Vogelarten aus unserem Lebensumfeld. Welche Konsequenzen sich für die Ökosysteme und deren „Leistungsfähigkeit“ ergeben, beginnen wir im Detail aber erst langsam zu verstehen.

Biodiversität ist mehr ist als die Vielfalt an Bienen-, Baum- oder Vogelarten. Alleine in Deutschland gibt es beispielsweise über 30.000 verschiedene Insektenarten. Deren ökologische Rolle verstehen wir in vielen Fällen noch nicht richtig oder können sie nur schwer quantifizieren, weil uns Wissen zu diesen Arten fehlt und dazu, wie sie mit anderen Arten wechselwirken. Besser zu verstehen, welche Rolle diese Biodiversität für Ökosysteme spielt, was die Stellschrauben positiver Biodiversitätseffekte sind und wie wir Menschen direkt oder indirekt darauf Einfluss nehmen kann helfen, unsere Lebensgrundlagen nachhaltig und zukunftsorientiert zu sichern. Als Wissenschaftler fasziniert mich darüber hinaus auch ganz grundsätzlich, dass ein Verständnis der Muster und Funktionsweisen von Biodiversität tiefe Einblicke in die Prozesse und Mechanismen liefert, die Ökosysteme und „die Natur“ am Laufen halten.

Womit befasst sich Ihr Teilprojekt im Klima.Zukunftslabor DIVERSA?

Im DIVERSA-Projekt beschäftigt sich unser Team mit der Frage, wie klimawandelbedingte Veränderungen der letzten Jahre in unseren Wäldern auf die Vielfalt und Zusammensetzung von Artengemeinschaften und die damit verbundenen ökologischen Funktionen wirken. Konkret geht es um den Einfluss der in den letzten Jahren vermehrt aufgetretenen Trockensommer mit längeren Dürreperioden. Diese Sommer haben zum Absterben oder Vitalitätsverlust von Bäumen und damit zu Veränderungen in der Struktur der Wälder geführt. Welche Konsequenzen das für die Biodiversität von Waldorganismen hat, ist ein sehr aktives Forschungsfeld und kann uns helfen, den Einfluss fortschreitenden Klimawandels auf unsere Wälder besser zu verstehen und praxisorientierte Handlungsempfehlungen zu entwickeln. In DIVERSA vergleichen wir dazu auch Wälder mit und ohne forstliche Nutzung, um den direkten Einfluss des Menschen einzubeziehen.

In unserem Teilprojekt fokussieren wir auf die Artengruppe der Nachtfalter, stellvertretend für eine Vielzahl anderer Insektengruppen. Nachtfalter sind enorm artenreich, weisen viele spezialisierte und gegenüber Umweltveränderungen empfindliche Arten auf und übernehmen im Wald wichtige ökologische Rollen: zum Beispiel als Nahrung für Vögel und Fledermäuse, als Bestäuber, aber manchmal auch als forstliche Schadorganismen. Neben der Artenvielfalt und Artenzusammensetzung der Nachtfalter interessiert uns auch, welche Auswirkungen klimawandelbedingte Strukturveränderungen der Wälder auf das Ausmaß des durch Nachtfalterlarven verursachten Pflanzenfraßes einerseits und die biologische Kontrolle möglicher Schadorganismen andererseits haben.

Welche Auswirkungen hat der Klimawandel auf die Biodiversität in mitteleuropäischen Wäldern, bzw. welche Auswirkungen sind zu erwarten?

Das ist eine spannende Frage, die nicht so einfach zu beantworten ist. Auf der einen Seite ist zu erwarten, dass der Klimawandel durch Förderung natürlicher Störungen – wie Trockensommer, Stürme, Massenvermehrungen von wirtschaftlichen Schädlingen – zu einem veränderten und diverseren Waldbild führen wird. Das kann solche Arten begünstigen, die mit der aktuellen Waldlandschaft bisher weniger gefördert werden, wie z. B. Lichtwaldarten, Arten früher Waldentwicklungsphasen und Störungsflächen und gegebenenfalls auch Totholzbesiedler. Auf der anderen Seite hängen die Auswirkungen auch stark davon ab, wie sich die Waldbewirtschaftung auf den Klimawandel einstellt. Klar ist, dass es langfristig zu Veränderungen bei der Artenzusammensetzung kommen wird, ob durch natürlicherweise einwandernde Baumarten, Förderung klimawandelangepasster heimischer Baumarten, oder durch gezieltes Anpflanzen neuer Arten. Ein verstärkter Anbau gebietsfremder, an den Klimawandel angepasster Baumarten muss dabei nicht unbedingt förderlich für die Biodiversität von Waldarten sein, da z. B. viele pflanzenfressende Insektenarten nicht an solche neuen Baumarten angepasst sind. Auch kürzere Umtriebszeiten, also die Zeitspanne bis zur Holzernte, wegen schnellerem Wachstum können ohne geeignete Ersatzmaßnahmen Probleme z. B. für Altholzbewohner mit sich bringen. Allerdings bietet die Anpassung der Waldbewirtschaftung an den Klimawandel auch Chancen für mehr Naturnähe, wenn beispielsweise vermehrt auf Mischungen verschiedener Baumarten statt auf störungsanfälligere Nadelholz-Reinkulturen gesetzt wird. Wichtig ist auch, Klimaschutzziele, für die der Wald eine große Rolle spielt, nicht ohne Naturschutzziele zu denken.

Mit Ihrer Forschungsgruppe legen Sie einen Schwerpunkt auf Arthropodengemeinschaften. Warum ist die Forschung zu Insekten so wichtig für den Waldnaturschutz?

Insekten und andere Arthropoden, wie beispielsweise Spinnen, stellen den Großteil der Artenvielfalt von mehrzelligen Lebewesen im Wald. Das verdeutlicht in Sachen Biodiversitätsschutz schon einmal grundlegend die Relevanz für den Naturschutz. Alle diese Arten übernehmen wichtige ökologische Funktionen, von der Zersetzung toter Pflanzen oder Tiere über den Fraß an lebenden Pflanzen bis hin zur biologischen Bestandskontrolle als Räuber oder Parasitoide [Organismen, die während ihrer Entwicklung parasitär in einem Wirt leben und diesen abschließend töten]. Ohne sie funktioniert der Wald nicht so, wie er sollte. Auch wenn wir ihren Beitrag oftmals nicht so direkt und deutlich wahrnehmen wie den von Bäumen oder großen Tieren. Veränderungen in der Biodiversität dieser Artengruppen können auch wichtige Wechselwirkungen beeinflussen, beispielsweise zwischen möglichen Schadorganismen und deren Nahrungskonkurrenten oder Antagonisten. Im Kleinen kann man das bereits am Gartenteich beobachten: Ohne Libellenlarven und andere Räuber werden diese zum Paradies für Stechmückenlarven. Mit ihrer enormen Anzahl und Biomasse sind Arthropoden gleichzeitig Nahrungsgrundlage für andere Artengruppen, wie Vögel, Reptilien oder viele Säugetiere. Studien der letzten Jahre haben gezeigt, dass auch im Wald Rückgänge von Artenvielfalt und Biomasse der Arthropoden zu beobachten sind. Die Gründe dafür besser zu verstehen und gegensteuern zu können sollte damit auch ein wesentliches Anliegen des Naturschutzes im Wald sein.

Wie lassen sich Natur und Biodiversität im Wald schützen und klimaresilient machen?

Natur- und Biodiversitätsschutz finden bei der Waldbewirtschaftung zunehmend Aufmerksamkeit und Berücksichtigung. In der Vergangenheit sind bereits viele sinnvolle und weiterhin ausbaubare Maßnahmen in die Bewirtschaftung integriert worden, von der Förderung im Wirtschaftswald oftmals unterrepräsentierter, aber für viele Arten lebenswichtiger Ressourcen (in Form von Totholz, Alt- und Habitatbäumen) über Waldumbau mit Naturverjüngung und Laubwaldförderung bis hin zur Ausweisung von nutzungsfreien Waldflächen mit natürlicher Entwicklung. Teil einer naturschutzkompatiblen Zukunftsstrategie in Zeiten des Klimawandels kann es sein, dem Wald mehr Eigendynamik zuzubilligen unter Anpassung und Diversifizierung der Nutzungsziele. Also zum Beispiel alternative Wege in der Holznutzung zu entwickeln und die Bereitstellung wichtiger Ökosystemdienstleistungen in Bezug auf Schutz- und Erholungsfunktionen des Waldes noch stärker zu berücksichtigen und gleichzeitig wirtschaftlich attraktiver zu machen. Damit einhergehen kann auch, in Anbetracht von Unsicherheiten in der Prognose der am besten geeigneten Bewirtschaftungsansätze und als Absicherung für die Zukunft, eine Diversifizierung in den Bewirtschaftungsformen, also weder Altersklassen- oder Dauerwald als Universallösung. Das kann auch eine weitere Förderung von Waldflächen mit natürlicher Entwicklung umfassen, als Rückzugsraum für viele Arten und als Lernort zur Abschätzung natürlicher Anpassungspotenziale. Grundsätzlich sollte die Zerschneidung von Wäldern, also eine zunehmende Verinselung, vermieden und der Biotopverbund gefördert werden, um Arten ein möglichst langfristiges Überdauern bei sich ändernden Umweltbedingungen und gleichzeitig die Nutzung geeigneter Wanderkorridore zu ermöglichen. Begleitet werden sollte die zukünftige Entwicklung durch ein gezieltes, dauerhaftes Monitoring der Biodiversität, um Einflussfaktoren identifizieren und nötigenfalls mit geeigneten Maßnahmen gegensteuern zu können.

Vielen Dank für das Interview.

Ansprechpartner:in

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Leiter der Abteilung Waldnaturschutz an der Georg-August-Universität Göttingen und Teilprojektleiter im Klima.Zukunftslabor DIVERSA

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