Klimaherausforderungen lokal erkennen und bewältigen
- 11. November 2024
- 8 min. Lesezeit
Wie sind unterschiedliche Siedlungstypen und ihre Bevölkerungen besonders durch den Klimawandel und seinen Folgen gefährdet? Welche Strategien gibt es, deren Resilienz zu erhöhen? Diesen Fragen geht das Klima.Zukunftslabor Urban Climate Future Lab (UCFL) nach.
In einem inter- und transdisziplinären Ansatz will das UCFL-Team ermitteln, wo in niedersächsischen Städten und Gemeinden besonders akuter Handlungsbedarf besteht. Im zweiten Schritt werden aus einer multidisziplinären Perspektive und mit Akteur*innen vor Ort integrierte Klimaanpassungsstrategien entwickelt werden. Im Interview erklärt UCFL-Sprecherin Prof. Vanessa Carlow, was das urbane System Niedersachsens ausmacht und warum es in der Klimaanpassung eine Fokusverschiebung braucht.
Hallo Frau Prof. Dr. Carlow, Sie sind Leiterin des Institute for Sustainable Urbanism an der TU Braunschweig, Sprecherin des Forschungsschwerpunkts Stadt der Zukunft und nun auch die Sprecherin des Urban Climate Future Lab. Was ist das Forschungsinteresse dieses Klima.Zukunftslabors?
Wir beschäftigen uns mit dem Zusammenhang von Klimawandel und Urbanisierung und darauf aufbauend mit Klimaanpassungsstrategien und Maßnahmen. Dazu wollen wir den Sprung von den großen globalen und regionalen Klimamodellen zu konkreten lokalen Herausforderungen vor Ort schaffen. Dabei fokussieren wir Niedersachsen. Mit dem UCFL wollen wir untersuchen, wie das urbane System in seinen Elementen, also den in Niedersachsen typisch vorkommenden Siedlungstypen, Großstadt, Mittel- und Kleinstadt bis zur Samtgemeinde und dem Dorf, vom Klimawandel beeinflusst werden und welche Rolle die Landschaft, Mobilität, Produktion und Governance bei der Klimaanpassung spielen. Darauf aufbauend werden wir für spezifische Siedlungstypen passgenaue Strategien zur Klimaanpassung entwickeln – mit Partner*innen aus der Praxis und vor Ort. Unsere Forschungsergebnisse werden später hoffentlich auf ähnliche urbane Systeme weltweit übertragbar sein.
Was charakterisiert das urbane System Niedersachsens?
In zurückliegenden Forschungsprojekten haben wir uns sehr intensiv mit Niedersachsen beschäftigt. Wir haben eine Methode entwickelt, um das urbane System zu beschreiben. Diese Methode nennen wir Topoi[*] (Weitere Informationen zur Topoi-Methode: Carlow, V., Mumm, O., Neumann, D., Schneider, A.-K., Schröder, B., Sedrez, M., & Zeringue, R. (2022). TOPOI – A method for analysing settlement units and their linkages in an urban–rural fabric. Environment and Planning B: Urban Analytics and City Science, 49(6), 1663-1681. https://doi.org/10.1177/23998083211043882). Sie basiert darauf, dass wir auf Grundlage verschiedener, sehr lebensnaher Indikatoren, wie bspw. der baulichen Dichte, der Erreichbarkeit durch den ÖPNV oder vorhandener Nutzungen, wie z.B. Kita, Schule, Laden oder Haltestelle, städtisch-ländliche Siedlungstypen in dreizehn Topoi-Klassen einteilen. Diese Methode ermöglicht uns ein besseres Verständnis der Wechselbeziehungen und Verknüpfungen zwischen städtischen und ländlichen Gebieten.[*] (Weitere Informationen: Carlow, V., Abou Jaoude, G., Karadag, C., Mumm, O., Scheer, M., Schöning, K. & Zeringue, R. (2023). METAPOLIS. TOPOI. SCENARIOS: for Urban-Rural Sustainability in Lower Saxony. Berlin, Boston: JOVIS. https://doi.org/10.1515/9783868599886)
Unter urbanem System verstehen wir dabei das Netzwerk unterschiedlicher Siedlungstypen und ihrer diversen Verknüpfungen. Siedlungstypen können beispielsweise Großstädte, Mittelstädte, Kleinstädte, Samtgemeinden, ein Dorf, ein Weiler und alles dazwischen sein. Millionen- oder etwa Megastadtregionen finden wir in Niedersachsen hingegen nicht. Verknüpfungen meint, wie diese Siedlungstypen unterschiedlicher Größe, Funktionen und Erreichbarkeiten miteinander vernetzt sind und miteinander interagieren, also welche Ströme von Menschen, Gütern und Informationen zwischen ihnen bestehen. Wenn wir uns dieses urbane System für Niedersachsen vor Augen führen, ist einiges charakteristisch, zum Beispiel, dass die meisten Menschen eben nicht in Großstädten, sondern in kleinen und mittleren Städten und in suburbanen Arealen leben. Wir finden hier viele vor allem landschaftlich und landwirtschaftlich geprägte Regionen mit Städten und Dörfern als Tupfer, um es so zu sagen. Dieses spezifische urbane System (und vergleichbare) stehen unserer Hypothese nach vor bestimmten Herausforderungen angesichts des Klimawandels und erfordern daher spezifische Lösungen.
Worauf legt das UCFL seinen Fokus? Auf die Interaktion zwischen den Siedlungstypen oder auf den einzelnen Siedlungstypen?
Sowohl als auch. Der Nachhaltigkeitsdiskurs in der Stadtentwicklung war sehr lang auf Großstädte und Megastadtregionen fokussiert. Hier gibt es bereits sehr viele Strategien, wie mit Nachhaltigkeit und Klimaanpassung umzugehen ist. Richtig gute Lösungen für Klein- und Mittelstädte ebenso wie polyzentrale Regionen, deren Herausforderungen im Kontext des Klimawandels anders ausgeprägt sind, gibt es bislang nur wenige. Die Herausforderungen dieser Städte hängen beispielweise eng mit der Landschaft zusammen, in der sie verortet sind. Nach solchen Lösungen suchen wir gezielt.
So hat dann jede Stadt, bzw. Siedlung je nach Standort seine eigenen klimabedingten Herausforderungen?
Ja und nein. Sicherlich sind viele oder alle Orte in Niedersachsen zukünftig mehr von Hitze und Starkregen und sogar deren Kombination betroffen, um zwei Beispiele zu nennen. Aber Niedersachsen zeichnet sich dabei eben durch ganz verschiedene Landschaften aus. Wir haben Mittelgebirge wie den Harz, Heidelandschaften, von Flüssen und deren Regulierung stark geprägte Landschaften, Küstenregionen, Agrarlandschaften und noch viele mehr. Diese Landschaften verändern sich teilweise dramatisch. Wenn ich an den letzten Winter zurückdenke, erinnere ich mich an Überflutungen und Flusshochwasser in und um Braunschweig. Monatelang standen auch in Bröckel, einem Dorf, in dem eine liebe Kollegin von uns lebt, die Keller, Gärten und landwirtschaftliche Flächen unter Wasser. Im Sommer brannte es dann im Harz. So wird jede*r Niedersachs*in von eigenen Erfahrungen mit landschaftlichen Veränderungen, Extremereignissen und deren Auswirkungen auf das eigene Leben berichten können. Wir wollen dazu beitragen, dies zum einen besser zu verstehen, aber auch an konkreten Maßnahmen und Anpassungsstrategien arbeiten
Gibt es Standorte oder Regionen auf die Sie sich mit dem Klima.Zukunftslabor UCFL konzentrieren wollen?
Wir wollen zum Start in unsere Projektarbeit untersuchen, welche Regionen oder Orte in Niedersachsen ganz besonders stark von den Folgen des Klimawandels betroffen sind. Wo treten Hitze, Überflutungen, Extremwetter, usw. besonders häufig auf? Dazu greifen wir auf Daten unseres Partners, dem GERICS – Climate Service Center Germany, zurück.
Diese Daten überlagern wir dann mit unserer Topoi-Methode und schauen, ob es bestimmte Siedlungstypen gibt, die in hohem Grad vulnerabel sind. Das ermöglicht uns, innerhalb unseres Netzwerks nach Partner*innen vor Ort zu suchen, mit denen wir dann zugleich lokal und exemplarisch an Klimaanpassungsstrategien arbeiten können.
Wichtig ist es daher noch mal, unseren typologischen Ansatz zu erklären. Wir werden im Rahmen unseres Projektes nie für alle Orte in Niedersachsen Strategien und Maßnahmen partizipativ entwickeln können. Aber da Orte geplant sind, gleichen sie sich zu einem gewissen Maße, wie auch Gebäude sich zu einem gewissen Maße gleichen. Dort setzen wir an. Gibt es evidenzbasierte Maßnahmen, die in Bröckel genauso gut funktionieren wie in Brome? Gibt es Ideen für Salzgitter, die auch in Peine und Vechelde gut funktionieren? Was kann Hannover von Lüneburg lernen? Niedersachsen aber auch von Forschungen und Anwendungsbeispielen weltweit.
Was sind Merkmale, dass eine Stadt oder Gemeinde besonders vulnerabel ist?
Das lässt sich am besten am Beispiel Hitze oder Überflutungen visualisieren. Es gibt wunderbare Datensätze, an denen wir sehen können, wo Hitze oder Überflutungen besonders häufig vorkommen. Für Braunschweig könnte ich da einige Orte konkret benennen. Für Bremen, das ja als Bundesland von Niedersachsen umgeben ist, ebenso wie entlang der niedersächsischen Küstenlinie wissen wir beispielsweise das Hochwasser aufgrund des steigenden Meeresspiegels zukünftig ein Problem darstellen wird.
Im Projekt wollen wir tatsächlich von den großen oder auch regionalen Modellen fast schon mit der Lupe in exemplarische Dörfer und Städte zoomen und hier die Herausforderungen des Klimawandels verstehen und angehen.
Was steht dann am Ende dieses Prozesses?
Wir wollen über Handlungsempfehlungen hinausgehen. Das Ziel ist es, einerseits Grundlagenwissen zu erarbeiten. Und weiter konkret mit Städten, Gemeinden, NGOs, Bürger*innen und anderen relevanten Akteur*innen zusammenzuarbeiten und Klimaanpassungsprojekte tatsächlich anzustoßen.
Außerdem kann ich mir gut vorstellen, zu erforschen, ob landschaftliche Elemente in der Governance zukünftig eine stärkere Rolle spielen sollten. Regionen sind derzeit in einem radialen System verfasst. Man hat darin eine Kernstadt, um die sich Vororte, Kleinstädte usw. anordnen. Aber vielleicht muss man dieses Denken aufbrechen und sich mehr entlang von Landschaften oder Flüssen ausrichten, wie es ja bereits im Bereich des Küsten- bzw. Deichschutzes funktioniert.
Klimaschutz und Klimaanpassungsmaßnahmen enden zudem häufig noch am Ortsschild. Mit unserer Topoi-Methode können wir unabhängig von administrativen Grenzen das urbane System verstehen. Wir erwarten von dieser Methode realitätsnähere Ergebnisse. Im Alltag nehmen wir Stadtgrenzen kaum wahr. Und auch für den Klimawandel ist eine Stadtgrenze total irrelevant!
Gibt es Best-Practice-Beispiele von Städten, in denen Klimaanpassungsstrategien gut umgesetzt werden, an denen Sie sich orientieren können?
Singapur, wo wir vom ISU zusammen mit dem IWF, die auch im UCFL sind, ja die Forschungspräsenz für die TU Braunschweig mit aufgebaut haben, ist sicherlich ein Topbeispiel, wie sich eine Stadt in kürzester Zeit an den Klimawandel anpassen kann. Dort wurden sehr gute Beispiele für Klimaanpassungsprojekte und Dekarbonisierung angestoßen oder bereits umgesetzt. Klimatisch ist Singapur allerdings kaum vergleichbar mit Niedersachsen. Wir sind dort schließlich im tropischen Raum. Aber die Fragen, wie man in Singapur Wassermanagement betreibt, wie man mit Starkregen umgeht oder Hitzeinseln bekämpft, können als gutes Beispiel dienen. Im Allgemeinen ist der Prozess von der wissenschaftlichen Problemanalyse bis zur Lösung in Singapur sehr gut und effizient gestaltet.
Ein anderes Beispiel, das ich herausragend finde, ist tatsächlich New York. Die Stadt hat spätestens mit dem Hurrikan Sandy, bei dem küstennahe Teile der Stadt überflutet wurden, angefangen die Stadt sukzessive umzubauen und vor allem die Küstengebiete so zu transformieren, dass sie als Puffer dienen. Hier spielen auch soziale Aspekte eine große Rolle, weil die Überflutungsgebiete der Bronx und auch Brooklyns vor allem von ärmeren Bevölkerungsschichten bewohnt werden.
Welchen Methodiken werden Sie anwenden?
Da wir ein interdisziplinäres Team sind, vereinen wir eine Vielzahl an Methoden. Wir haben unter anderem Naturwissenschaftler*innen, Ingenieur*innen, Psycholog*innen, Architekt*innen und Stadtplaner*innen in unserem Labor. Jede dieser Fachwissenschaften bringt natürlich auch ihre eigenen Methodiken und Herangehensweisen mit. Diese Ansätze miteinander zu vereinen ist eine Herausforderung, die wir gerne annehmen und auf die wir uns freuen.
Haben Sie schon Kontakt zu Städten und Gemeinden, mit denen Sie zusammenarbeiten wollen?
An meinem Institut haben wir schon lange und intensiv mit niedersächsischen Städten und Gemeinden zusammengearbeitet. Als ich vor dreizehn Jahren an die Technische Universität Braunschweig berufen wurde, habe ich mit dem Institute for Sustainable Urbanism einen offenen Aufruf über den Niedersächsischen Städtetag veröffentlicht. Dort haben wir angeboten, dass sich Städte und Gemeinden mit ihren Herausforderungen bei uns melden können und wir gemeinsam eine Lösung erarbeiten. Vor allem kleinere Städte und Gemeinden haben sich daraufhin bei uns gemeldet, um Probleme wie etwa Leerstände anzugehen. Daher haben wir Kontakte zu zahlreichen Ortschaften, die geografisch vom Harz bis an die Nordseeküste reichen.
In der ersten Projektphase wollen wir ja erstmal untersuchen, wo auf Basis der Klimadaten und Erfahrungen der Menschen besonderer Handlungsbedarf besteht. Wenn wir hier bestimmte Orte oder Regionen identifizieren können, werden wir dort unser Netzwerk aktivieren und schauen, ob wir Partner*innen vor Ort haben, mit denen wir Projekte umsetzen können.
Wie wird die Startphase in das gemeinsame Projekt aussehen?
Abseits der obligatorischen Stellenausschreibungen führen wir gerade im Labor viele Gespräche und werden in einem internen Auftakt für unser Labor Ende Oktober die konkreten nächsten Schritte abstimmen und die gemeinsame Arbeit beginnen. Dort werden wir mit allen Beteiligten die Zusammenarbeit besprechen und unsere gemeinsamen Ziele festlegen. Gerade in den ersten Projektphasen werden wir sehr viel zusammenkommen, damit wir auch alle Beteiligten mit ins Boot holen und den Arbeitsprozess produktiv gestalten können. Wir haben mit Dr. Esteban Muñoz gerade einen tollen Wissenschaftler und Wissenschaftsmanager gewinnen können, unser Lab zu managen. Dr. Muñoz bringt eine unglaubliche Expertise und Erfahrung aus global agierenden Institutionen mit und wird uns hier in Braunschweig total bereichern.
Ich spreche sicher auch für das gesamte UCFL-Team, wenn ich sage: wir sind unendlich gespannt auf unser Lab! Wir freuen uns, die Herausforderungen als Team gemeinsam angehen zu können. Wir sind uns unserer Verantwortung bewusst! Als Wissenschaftler*innen eint uns der unbedingte Wille, positiv zur nachhaltigen Entwicklung unserer Städte und Gemeinden beitragen zu können! Wir freuen uns darauf, dass uns Städte und Gemeinden ebenso wie Akteur*innen aus der Zivilgesellschaft und Wirtschaft aus Niedersachsen kontaktieren, wenn sie unseren Ansatz spannend finden und uns begleiten möchten!
Vielen Dank für das Interview.
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