Vom Klimawissen zum klimabewussten Handeln
- 12. November 2024
- 6 min. Lesezeit
Das Wissen um den Klimawandel und die gravierenden Folgen ist weit verbreitet. Und trotzdem sind Stadt- und Raumgestaltung und unser alltägliches Handeln oft wenig klimabewusst. Diese Übersetzungslücke möchte das Klima.Zukunftslabor OPEN_CULTURES schließen.
In einem interdisziplinären Team untersucht das Labor, wie Stadtgestaltung und Designentscheidungen uns alle zu nachhaltigerem und klimabewussten Handlungen animieren können. Im Interview spricht OPEN_CULTURES-Sprecherin Prof. Tatjana Schneider über die Bedeutung des „Vor Ort seins“ und die Ziele des Klima.Zukunftlabors.
Frau Prof. Schneider, was ist das Forschungsinteresse des Klima.Zukunftslabors OPEN_CULTURES?
Wir wollen untersuchen, wie das Wissen über den Klimanotstand, das jede*r Einzelne von uns mit sich herumträgt, in tägliches Handeln übersetzt werden kann. Die Aussagen der wissenschaftlichen Publikationen zu den Auswirkungen des Klimawandels sind schon lange sehr deutlich. Wir möchten daher erforschen, wie dieses Wissen aus der Forschung in die Gesellschaft kommt. Über welche Kanäle und in welcher Geschwindigkeit gelingt dieser Wissenstransfer von Zahlen, Fakten und Erkenntnissen? Und wie können wir aus Sicht der Designforschung unterstützen, dieses Wissen zu übersetzen und handhabbar zu machen?
Wir wissen seit Jahrzehnten, wie weitreichend die Folgen des Klimawandels sein werden und wir werden stetig mit neuen Hitzerekorden, Rekordhochwassern, usw. konfrontiert. Die Prognosen zeigen sogar, dass sich diese Entwicklung weiter verschlimmern wird. Das zeugt davon, dass die Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels aus unserer Sicht noch nicht greifen. Daher wollen wir untersuchen, wie wir dieses Wissen in Handlungen übertragen können. Und das auf Ebene der Stadtgesellschaft. Wie kann jede*r Einzelne dieses Klimawissen in nachhaltiges Leben übersetzen und welche Unterstützung braucht er oder sie dabei?
Welche Rolle spielt dabei Design und Stadtgestaltung?
Die Stadtgestaltung trägt mittelbar dazu bei, wie nachhaltig und klimabewusst wir uns verhalten. Die Art, wie wir die Stadt nutzen, welche Mobilitätsform wir wählen, wie wir essen – das sind alles Aspekte, die durch die Gestaltung des Raumes um uns herum beeinflusst werden. Diese Entscheidungen haben einen großen klimatischen Einfluss. Hier kann Design dabei helfen, Dinge einfacher, leichter und zugänglicher zu machen und mit planetaren Grenzen in Einklang zu bringen.
Auf der anderen Seite hat die Stadtgestaltung auch einen unmittelbaren Einfluss auf das Klima und den Umgang mit seinen Folgen. Beispielsweise wirkt sich die Planung der Stadt auf die Bodenversiegelung, auf die Biodiversität und den Verbrauch von endlichen Ressourcen aus.
Kann ich mir die Gestaltung des Raumes analog zur Gestaltung eines Cockpits im Flugzeug vorstellen? Ein Pilot hat das Wissen, wie er ein Flugzeug fliegen muss und das Cockpit um ihn herum unterstützt ihn dabei, dieses Wissen umzusetzen. Haben wir also das Wissen, was wir gegen den Klimawandel tun müssen und unsere Umgebung unterstützt uns dabei?
Ja, genau. Wir wissen alle, dass es das 1,5 Grad-Ziel gibt. Wir wissen alle, dass es schwer werden wird dies noch zu erreichen. Wir wissen auch, dass in etwa 45% des weltweiten CO2-Ausstoßes im weitesten Sinne der Bauindustrie zuzuordnen ist. Daraus ergibt sich, dass wir unter anderem andere Produktions- und Bauweisen brauchen. Wissen existiert zuhauf, aber es wird nicht umgesetzt. Und das nicht nur in diesem Bereich. Die Frage, die wir uns stellen, ist, warum dieses Wissen nicht umgesetzt wird und wie wir als Stadtgesellschaft unterstützen können Wissen in Handlungsformen zu übersetzen. Wie dieser Knowlegde-Gap überwunden werden kann ist noch nicht ausreichend erforscht.
Sehen Sie da nur einen Knowledge-Gap oder vielleicht auch einen Motivation-Gap?
Das spielt sicherlich auch eine Rolle, ist aber eher eine Luxusdiskussion des globalen Norden. Bei uns sind die Klimafolgen noch nicht in dem Maß angekommen, in dem sie in anderen Ländern schon lange spürbar sind, wo Dürre und Extremwettereignisse schon deutlich häufiger und dramatischer als bei uns vorkommen. Dennoch kann gesagt werden, dass über das Entwerfen von Räumen Verhaltensmuster gefördert werden können, die klimabewusstes Verhalten selbstverständlich machen.
Sie knüpfen mit OPEN_CULTURES an das gemeinsame CO-Living-Campus-Projekt der Stadt Braunschweig und der Technischen Universität Braunschweig an. Womit hat sich dieses Projekt befasst?
Der CO-Living-Campus ist als gemeinwohlorientiertes und damit auch klimagerechtes Quartier konzipiert. Über die letzten Jahre wurden in Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Akteur*innen Ideen entwickelt, die nun von Architektur- und Planungsbüros in städtebauliche Pläne übertragen wurden. An die Energie dieses Prozesses, und auch an die schon etablierten Beziehungen wollen wir mit OPEN_CULTURES anknüpfen.
Wie sieht in diesem Quartier der Austausch mit den Bewohnenden momentan aus?
Im letzten Jahr wurden über Vorträge, Veranstaltungen und Workshops immer wieder Ideen zusammen mit den Anwohnenden und Nutzenden entwickelt. Es gelang uns, viele Menschen für das Projekt und dieses zukünftige Quartier zu interessieren. Diese Verfahren sollen auch in Zukunft eine große Rolle spielen.
Welche Rolle hat dabei die klimagerechte Anpassung gespielt?
Den Menschen, die an Workshops teilgenommen haben, liegt das Klima sehr am Herzen. Vor allem Biodiversität und Bodenversiegelung ein großes Thema. Im Moment ist das Areal stark versiegelt. Viele äußerten den Wunsch, dieser starken Versiegelung entgegenzuwirken, um biodiverse Räume in die Stadt zurückzubringen.
Wird sich das Klima.Zukunftslabor auch auf weitere Standorte konzentrieren?
Das Gebiet des CO-Living-Campus ist unser Ausgangspunkt. Wir werden aber nicht nur lokal bleiben, sondern mit Praxispartner*innen Ideen und Prinzipien entwickeln, die an anderen Orten getestet oder auch umgesetzt werden können.
Klimagerechte Gestaltung ist ein Feld, das viele Menschen interessiert. Wir sind in Kontakt mit möglichen Praxispartner*innen aus Schottland, Mexiko, Indien und den USA. Austausch mit diesen Gruppen werden Summer und Winter Schools stattfinden. Wie ich schon anfangs gesagt hatte: Was fehlt sind neue Vorstellungen, Erzählungen, Narrative und Vorgehensweisen, wie wir dem Klimawandel begegnen. Dies wird von vielen Laboren und Projekten weltweit thematisiert und mit diesen Gruppen und Organisationen werden wir in Dialog treten.
Was macht das OPEN_CULTURES-Netzwerk aus?
Wir sind ein stark interdisziplinäres Team mit Kolleg*innen aus den Geistes- und Sozialwissenschaften, aber auch aus naturwissenschaftlichen Fächern. Ein verbindendes Element ist allerdings die Grundannahme, dass wir weniger stark technologisch orientierte Lösungen benötigen, sondern dass sich soziale und kulturelle Praktiken ändern müssen, um dem Klimawandel zu begegnen.
Darüber hinaus werden wir mit zivilgesellschaftlichen Initiativen, Genossenschaften und anderen Unternehmen zusammenarbeiten, die schon jetzt Klimawissen in die Anwendung bringen. Von diesen Erfahrungen können wir profitieren und im Gegenzug die unterschiedlichen Projekte miteinander vernetzen, sodass eine noch größere Hebelwirkung entsteht.
Was werden die ersten Schritte des Klima.Zukunftslabors sein?
Wir wollen uns, wahrscheinlich auf dem Gelände des CO-Living-Campus, einen Ort einrichten, an dem wir arbeiten, zusammenkommen und für die Stadtgesellschaft ansprechbar sind—ein Ort des formellen und informellen Austauschs. OPEN_CULTURES ist also nicht nur Projekt sondern auch ein konkreter Ort. Mein Wunsch ist, dass Projektbeteiligte in diesem Raum zusammenkommen können, um Synergien zu heben. Dieser Ort ist dann eben nicht nur ein weiteres Universitätsbüro, sondern auch ein Stück weit ein Nachbarschaftstreff, wo man vorbeikommen, sich informieren und austauschen kann.
Haben Sie bereits Erfahrungen mit dieser Art der Partizipation machen können?
Ja. Meine Arbeit in Lehre und Forschung hat in den letzten Jahren genau diese Schwerpunkte gesetzt, und immer wieder auch Räume für Aktivitäten entwickelt, die jenseits von klassischer Forschungsarbeit Situationen und Orte für informellen Austausch geschaffen hat. Wir haben beispielsweise gemeinsam gegärtnert, gekocht oder sind Fahrrad gefahren, um diese Räume zu bilden—was uns erlaubt, ganz niedrigschwellig und schnell mit vielen Menschen ins Gespräch zu kommen.
Nehmen Sie zum Beispiel das Projekts Quartier:Plus am Schwarzen Berg im Braunschweiger Norden, das auch in unserem Partnerschaftsnetzwerk ist. Das Projekt hat zum Ziel Zusammenleben in der Nachbarschaft zu gestalten. Dafür wurde ein leeres Ladenlokal angemietet und in einen zentralen Anlauf- und Treffpunkt umgestaltet. Hier wird nicht nur sichtbar, welche sozialen Synergien durch so diese Art von Impuls entstehen können, sondern auch wie notwendig solch kritische Infrastruktur für das Verhandeln von neuen klimagerechten Zukünften ist.
Ich finde es ganz großartig, dass wir dieses Projekt, das sich neben der eher theoretischen Auseinandersetzung mit der Übersetzung von Klimawissen gleichzeitig ganz resolut aus der akademische Welt hinausbewegt, jetzt umsetzen dürfen. Darauf freuen wir uns alle sehr!
Vielen Dank für das Interview.
Kontakt
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